Dank der Entwicklung wirksamer Behandlungsmethoden können Personen mit HIV heute ein langes Leben führen.

Florent Jouinot | März 2024

Angesichts der Nichtübertragbarkeit des Virus hat sich die medizinische Betreuung von Menschen mit HIV aus Sicht der individuellen und öffentlichen Gesundheit grundlegend verändert; dabei haben sich neue Herausforderungen ergeben. Andererseits sind bestimmte Realitäten, die mit dem Leben mit HIV verbunden sind, unverändert geblieben, finden aber nach wie vor nicht immer eine Antwort. Deshalb stellt sich die Frage, welche Lehren aus den 40 Jahren Kampf gegen HIV/Aids gezogen werden können.

Zu Beginn der Epidemie wusste niemand, was zu tun war. Um ein Verständnis zu entwickeln, waren Gesundheitsfachkräfte, Menschen mit HIV und Mitglieder der am stärksten betroffenen Communitys aufeinander angewiesen. Aus diesem gemeinsamen Interesse entwickelte sich ein unter Zeitdruck geführter Kampf gegen einen gemeinsamen Feind. In diesem Kampf um die Erhaltung der Gesundheit von Menschen mit HIV und die Verhinderung von Übertragungen entstanden starke Verbindungen zwischen den Mitarbeitenden der Gesundheitsdienste, Menschen mit HIV und den Communitys. Mit der Entwicklung wirksamer Behandlungsmethoden hat sich die HIV-Betreuung in eine Langzeitbegleitung verwandelt. Im Mittelpunkt der HIV-Behandlung steht jetzt die Aufrechterhaltung einer nicht nachweisbaren Viruslast. In der Schweiz wird dieses Ziel einerseits durch die ausgezeichnete Therapietreue erreicht, die Menschen mit HIV zeigen, sowie andererseits durch die Gestaltung der Therapiemassnahmen, insbesondere die einmalige Einnahme und die oral verabreichte oder injizierte Zweifachtherapie, um Toxizität, Nebenwirkungen sowie die Belastung durch die Therapie zu verringern. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Menschen mit HIV gesund sind und bleiben. 

Alt werden mit HIV

Mit der Verlängerung des Lebens mit HIV sowie seiner Behandlung ergeben sich neue Herausforderungen: Welche langfristigen Auswirkungen haben die Infektion und die HIV-Behandlungen? Wie wirksam sind die Behandlungen bei immer älter werdenden Patient:innen? Wie gehen wir mit altersbedingten Entwicklungen und Polymedikation um?

HIV wird nie eine Infektion wie jede andere sein

Einige Herausforderungen bestehen seit 40 Jahren und sind mit den hauptsächlichen Übertragungswegen verbunden. Die HIV-Stigmatisierung steht nach wie vor in Zusammenhang mit Sexualität und Drogenkonsum. Zudem überschneidet sie sich mit anderen Stigmatisierungen von Bevölkerungsgruppen, die am stärksten betroffen waren und zum Teil immer noch sind: Männer, die Sex mit Männern haben, Menschen mit Migrationshintergrund, Sexarbeiter:innen und / oder Drogenkonsument:innen.

Darüber hinaus gehört HIV zu den wenigen Infektionen, die eine Langzeitbetreuung erfordern, die zudem auch heute noch grösstenteils von den Abteilungen für Infektiologie geleistet wird – die zum Teil der einzige Ort sind, wo die betroffenen Personen ihren serologischen Status offenlegen und/oder über ihre Gesundheit sowie ihr Leben mit HIV sprechen können.

Um ein Bewusstsein für die Bedürfnisse von Menschen mit HIV zu entwickeln und angemessen auf sie eingehen zu können, ist ihre Beteiligung unerlässlich.

Gut leben mit HIV

Es wäre sinnvoll, zu den Zielen, die mit der Kenntnis des serologischen Status, dem Zugang zur Behandlung und der Unterdrückung der Viruslast verbunden sind, das Ziel der Lebensqualität mit HIV hinzuzufügen.

Dies würde einen ganzheitlichen Gesundheitsansatz fördern, der sich auf die Person und nicht auf HIV konzentriert. Um ein Bewusstsein für die Bedürfnisse von Menschen mit HIV zu entwickeln und angemessen auf sie eingehen zu können, ist ihre Beteiligung unerlässlich. Hierfür bieten sich beispielsweise Umfragen zu ihren Bedürfnissen oder ihrer Zufriedenheit mit den Angeboten an, aber auch ihr Einbezug in die Entscheidungsorgane und Teams der Einrichtungen, die sich an Menschen mit HIV richten.

Umfragen unter Menschen mit HIV zeigen, dass ihre Anliegen nicht immer mit denen der sie betreuenden Stellen übereinstimmen; zudem werden zum Teil nicht alle ihre Bedürfnisse erkannt und/oder nicht immer durch Angebote abgedeckt. So wird beispielsweise das Bedürfnis angeführt, Zeit mit Fachpersonen, aber auch mit anderen Betroffenen zu verbringen, um sich über gesundheitsbezogene Themen auszutauschen – insbesondere über die Infektion und ihre Behandlung, aber auch über das vergangene, aktuelle und zukünftige Leben mit HIV.

Anpassung der Angebote

Die Bedürfnisse von Menschen mit HIV sind ebenso vielfältig wie spezifisch. Ein spezifisches Bedürfnis kann sich aus dem Leben mit HIV oder aber aus einer Überschneidung mit anderen Herausforderungen ergeben. Leider sind die Angebote für Menschen mit HIV im Lauf der Jahre zurückgegangen – einerseits aufgrund der Überlastung der Abteilungen für Infektiologie, andererseits aufgrund der Reduzierung bzw. des Verschwindens von Angeboten von Verbänden, weil Finanzmittel gekürzt oder gestrichen worden sind.

Um den Bedürfnissen von Menschen mit HIV gerecht zu werden, scheint es heute notwendig, die Angebote neu zu definieren. Als Grundlage hierfür können die bereits zu Beginn der Epidemie definierten «Denver-Prinzipien» dienen, die in den letzten 40 Jahren stetig weiterentwickelt wurden. Weltweit und auch in der Schweiz wurden Angebote zur Ergänzung der HIV-Betreuung ausgearbeitet. Diese basieren auf der Koordination der Versorgung zwischen spezialisierten Diensten (Infektiologie, Geriatrie, Onkologie, sexuelle Gesundheit ...) und der Allgemeinmedizin, der Interdisziplinarität mit einer zentralen Rolle der Krankenpflege, aber auch der wesentlichen Beteiligung von Menschen mit HIV.

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