Frage : Mein Hausarzt überwies mich wegen Nackenschmerzen an eine Physiotherapeutin und verschrieb unter anderem Dry Needling, eine Stimulation von Triggerpunkten mit Nadeln. Bei der ersten Konsultation sprach sie mich zu meiner Überraschung auf meine HIV-Infektion an. Sie meinte, sie könne mich wegen eines möglichen Übertragungsrisikos nicht mit Nadeln behandeln, obwohl ich sie darauf hinwies, dass ich seit Jahren eine nicht nachweisbare Viruslast habe. Wie ist die Rechtslage?

Dr. iur. Caroline Suter antwortet:

Ihr Hausarzt hat in der Überweisung an die Physiotherapeutin offenbar Ihre HIV-Diagnose erwähnt. Da es sich bei der HIV-Infektion um eine Nebendiagnose handelt, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Behandlung der Halswirbelsäule steht, hätte sie ohne Ihre ausdrückliche Einwilligung nicht in der Überweisung erwähnt werden dürfen. Dies stellt eine Datenschutzverletzung dar. Die Tatsache, dass sowohl der Arzt, als auch die Physiotherapeutin der Schweigepflicht unterliegen, vermag die Datenübermittlung nicht zu rechtfertigen. Die Schweigepflicht gilt auch dann, wenn der:die Empfänger:in der Information selbst der beruflichen Schweigepflicht untersteht. Zur Geheimhaltung verpflichtet ist nicht eine bestimmte Personengruppe, sondern die einzelne Person. Weisen Sie Ihren Arzt auf diese datenschutzrechtliche Problematik hin und verlangen Sie von ihm, Ihre HIV-Diagnose künftig nicht mehr ohne Ihre ausdrückliche Einwilligung weiterzugeben, wenn die Überweisung nicht im Zusammenhang mit HIV steht.

Die Schweigepflicht gilt auch dann, wenn der:die Empfänger:in der Information selbst der beruflichen Schweigepflicht untersteht.

Das Wissen um die Nichtinfektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ist leider bei vielen Menschen, auch im medizinischen Umfeld, noch nicht ausreichend vorhanden. Ob jemand eine nicht nachweisbare Viruslast hat oder nicht, spielt im vorliegenden Fall jedoch keine Rolle. Die Therapeutin muss Hygienemassnahmen ergreifen, unabhängig davon, ob sie den HIV-Status einer Person kennt oder nicht. Dies gilt umso mehr, als zu bedenken ist, dass immer – sowohl auf Seiten des Patienten als auch auf Seiten der Therapeutin - eine noch nicht bekannte blutübertragbare Krankheit vorhanden sein kann. Entsprechend wird in den Schweizer Richtlinien für sicheres Dry Needling, herausgegeben vom Dry Needling Verband Schweiz, darauf hingewiesen, dass immer davon ausgegangen werden muss, dass jede Person potentiell infektiös ist. Aus diesem Grund müssen bei allen Behandlungen entsprechende Hygienemassnahmen getroffen werden. Auch wenn die Physiotherapeutin rechtlich nur in Notfällen zur Behandlung verpflichtet ist, ist ihr Verhalten diskriminierend, da es keine sachlichen Gründe gibt, die gegen die Durchführung der Nadelbehandlung sprechen. Gerade in einem Umfeld, das von Vertrauen geprägt sein sollte, wiegen solche Diskriminierungen besonders schwer. Wir empfehlen Ihnen, die Physiotherapeutin zur Rede zu stellen und sie auf die Diskriminierung aufmerksam zu machen. Die Rechtsberatung der Aids-Hilfe Schweiz unterstützt Sie gerne dabei. Es ist auch möglich, dass das Rechtsteam der Aids-Hilfe Schweiz in Ihrem Auftrag mit der Physiotherapeutin Kontakt aufnimmt und sie über die rechtliche Situation aufklärt.

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