Zerbrochener Spiegel : Aids-Hilfe Schweiz

Zerbrochener Spiegel

Die Idee war ja mal nicht so schlecht. Ich will Kunst zu HIV machen, aber ich will mich noch nicht als HIV-positiver Mann outen. Was tun? Ich mach’s wie Banksy! Künstlername. Anonymität. Fertig. Kann ja nicht so schwer sein! Christopher Klettermayer über seinen Versuch mit einem Pseudonym in der Öffentlichkeit.

Christopher Kletter­mayer
Ich bin Autor, Fotograf und Künstler. Vor meiner HIV-Diagnose 2014 arbeitete ich als Fotograf in den Bereichen Reportage und Mode. Nach meiner Diagnose rückten für mich das Thema HIV und die gesellschaftlichen und soziologischen Aspekte des Virus in den Vordergrund. Bis vor Kurzem arbeitete ich unter dem Pseudonym Philipp Spiegel. Heute versuche ich meine künstlerischen Tätigkeiten mit dem Schreiben über mein Leben mit HIV und über Sexualität und Männlichkeitskonstrukte zu verbinden.

www.philipp-spiegel.com
www.cklettermayer.com

Christopher Klettermayer | Mai 2022

Und wie so oft kommt nach dem Grössenwahn der harte Aufprall in die Realität, gefolgt vom Kater und dem Gedankenkarussell – was habe ich mir eigentlich dabei gedacht?

Irgendwo wusste ich, dass ich nicht immer anonym bleiben wollte, sondern dass ich vorerst unter einem Künstlernamen arbeiten wollte – aber dass ich mich dabei derart naiv angestellt habe, ist eine Meisterleistung an Peinlichkeit. Forsch und motiviert fing ich an, unter dem Pseudonym Philipp Spiegel zu werken, Ideen zu konzipieren, Ausstellungen zu planen. Ich dachte, mit einem zweiten Facebook- und Instagram-Account sowie einer Alibi-Mailadresse wäre es geschafft.
Je mehr ich mich darin vergrub, desto schwieriger wurden die logistischen Herausforderungen. Moment … wenn ich jetzt diese eine Förderung beantrage – wie soll ich das machen? Ich muss ja meinen Namen angeben, meine Bankdaten offenlegen. Muss ich etwa ein zweites Konto eröffnen? Unter falschem Namen? Soll ich mir jetzt noch einen falschen Pass besorgen?

Meine Anonymität war so transparent wie ein leeres Wasserglas.

Vom hundertsten ins tausendste Detail. Ein Labyrinth an «Häh??!» und «Wie soll das bitte gehen??». Noch dazu schlichen sich mehr und mehr peinliche Fehler ein. Ich schickte Anfragen unter Christopher, die eigentlich unter Philipp geschickt werden sollten. Und umgekehrt. Und das noch von der falschen Mailadresse. Bisherige Arbeiten und mein Portfolio? Shit – wie soll ich meine Arbeiten zeigen, die nicht unter meinem Künstlernamen, sondern unter meinem echten Namen veröffentlicht wurden? Ganz genau. So verwirrend dieser Satz ist, so verwirrt war ich auch.

An meinem Outing führte kein Weg vorbei

Postings unter falschen Namen, auf falschen Accounts – aber stets mit denselben Online-Freund:innen und -Verbindungen. Meine Anonymität war so transparent wie ein leeres Wasserglas. Und beim Ertapptwerden griff ich zu den noch transparenteren Lügen: Der Philipp sei ja ein Freund von mir, ich würde dafür seine Sachen übernehmen … Mit hochrotem Kopf konnte ich an den Blicken der anderen erkennen, wie lächerlich mein Versuch war, anonym zu bleiben. Es war einfach zu offensichtlich. Je bewusster mir wurde, dass diese Sache mit dem Künstlernamen und der Anonymität einfach nicht funktionieren konnte, desto egaler wurde es mir.

Ich wusste, es kommt zu meinem Outing. Daran führte wohl kein Weg vorbei. Früher, als ich wollte. Aber irgendwie war ich auch erleichtert, es hinter mich zu bekommen. Abseits der logistischen Schwierigkeiten dachte ich: Nur mit voller Transparenz bin ich authentisch. Wie kann ich thematisieren, dass HIV kein Problem mehr ist, mich aber dann hinter einer Maske verstecken?

Während dieser Zeit fiel mir noch eine Sache auf: Die Werbungen im Browser und auf meinem Handy waren stets dieselben.

Vielleicht hatte ich es geschafft, eine Handvoll Menschen zu täuschen. Wer wollte, hätte mich sofort entlarven können. Aber dem Internet konnte ich nichts vormachen. Im Netz war ich schon längst durchleuchtet. Sind wir doch alle gläsern. Wem ist es noch nicht aufgefallen? Beim ersten Gedanken, sich neue Hosen kaufen zu wollen, ploppen bereits die ers-ten Werbebanner für Kleidungsgeschäfte auf. Beim Erwähnen eines Reiseziels kommen die Airline-Angebote wie aus dem Nichts geschossen. Your little phone is watching you.

Wer hat sich denn noch nicht selber gegoogelt und dabei einen Vergangenheitsflash gehabt, überrascht, was man so alles findet? Und wenn so ein Konzern schon so viel über mich weiss, wie sieht es dann mit all den Apps aus? Dating-Apps, Spiele, Zeitvertreib, Sport – alle sammeln meine Daten. Every breath you take, every move you make, every app is watching you … Und sobald ich HIV in die Suchmaschine tippe, ist HIV gespeichert. Da kann ich nur die Doku über Edward Snowden nahelegen.

Es gibt kein «Outing light»

Will ich, dass die ganze Welt meinen Status kennt? Na ja, eigentlich nicht. Aber ich befürchte, sofern ich offen damit umgehen will, bleibt mir keine andere Wahl. Es gibt anscheinend kein Dazwischen. Entweder ganz oder gar nicht. Und gar nicht ist eh schon schwer genug

Ich verstehe die Angst dahinter. Ich erinnere mich zu gut an sie. Ständig über die Schultern schauen. Die Stimme leiser drehen, wenn man die Buchstaben H I V flüstert. Der Verfolgungswahn. Das Doppelleben.

Mit meinem Künstlernamen Philipp Spiegel habe ich das Versteckspiel probiert. Es wurde mir jedoch zu mühsam, zu anstrengend. Und ich kam mir auch unehrlich vor. Nicht nur gegenüber anderen Menschen, sondern auch gegenüber mir selbst. «HIV ist kein Problem mehr!», schrie ich – versteckt in meiner Höhle. Nein. So geht das einfach nicht.

Dass mein HIV-Status irgendwann gegen mich verwendet wird, ist ein Risiko, das ich wohl eingehen muss, wenn ich etwas bewirken will. Aber es ist ein Opfer, dass ich bringen muss. Play stupid games, win stupid prizes. Ganz oder gar nicht. Es gibt kein «Outing light». Und einen Rückzieher kann ich eh nicht mehr machen. Bei den wichtigsten medizinischen Angelegenheiten muss ich meinen Status sowieso angeben.

Da ist mir die volle Transparenz lieber – auch weil ich sie als Waffe nutzen kann. Während ich vor meinem HIV-Outing im Doppelleben stets Angst hatte, entlarvt zu werden, war ich meinem Gegenüber ausgeliefert. Mir konnte angedroht werden: «Ich veröffentliche, dass du positiv bist.» Wer mein Geheimnis kannte, konnte es gegen mich verwenden.

Sobald es mir egal war, konnte ich mich nicht nur wehren, ich konnte auch die Kontrolle übernehmen. Das Narrativ bestimmen. Jeden, der mir mit Drohung kommen sollte, kann ich nun zur Rede stellen. Konfrontieren. Den Finger zurückzeigen.

Offen zu HIV zu stehen, war eine Befreiung und eine Erleichterung, die ich mir nie so hätte vorstellen können. Plötzlich habe ich mein Leben wieder in meiner Hand. Eine neue Autonomie, gepaart mit einem neuen Selbstbewusstsein.

Ich verstehe, dass viele ihren Status nicht offenlegen wollen. Das ist auch gut so. Es geht niemanden etwas an. Gleichzeitig bin ich froh, diesen Schritt gemacht zu haben, da er mir eine neue Lebensqualität geschenkt hat. Und eine enorm dicke Haut.

Was ich mit all den doppelten Instagram- und Facebook-Profilen machen soll, weiss ich jedoch bis heute nicht.

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