EMIS-2024 Schweiz Nationaler Bericht

EMIS ist die grösste europäische Online-Umfrage unter MSM, die darauf abzielt, mehr über die Gesundheit und Erfahrungen von schwulen, bisexuellen und anderen MSM sowie von trans und nicht-binären Personen zu erfahren.

Unter der Leitung eines internationalen Teams und koordiniert in der Schweiz von der Aids-Hilfe Schweiz brachte dieses Projekt Organisationen und Community-Mitglieder zusammen, um allen eine Stimme zu geben. In diesem Blog stellen wir die wichtigsten Ergebnisse für die Schweiz vor und erläutern, was sie für unsere Community bedeuten.

Der vollständige Bericht (auf Englisch) kann hier heruntergeladen werden: 

Rekrutierung und Demografie

Die Schweiz hatte mit 1'509 teilnehmenden MSM und TSM im Alter von 15 bis 65 Jahren eine der höchsten Teilnahmequoten. 

Die befragte Gruppe entsprach weitgehend der Gesamtbevölkerung der Schweiz. Das Medianalter lag bei 44 Jahren, was dem nationalen Median (43) entspricht. Etwa 28 % der Teilnehmenden waren ausserhalb der Schweiz geboren, hauptsächlich in Deutschland, Frankreich und Italien, was den nationalen Statistiken entspricht. Auch die gesprochenen Sprachen entsprachen denen der Gesamtbevölkerung: Die meisten sprachen Deutsch, gefolgt von Französisch und Italienisch, während eine kleinere Anzahl Englisch oder andere Sprachen verwendete.

Die meisten Befragten (72 %) gaben an, offen mit ihrer sexuellen Orientierung umzugehen, womit die Schweiz zu den europäischen Ländern mit der höchsten Coming-Out-Rate gehört. 

Morbiditäten

Depression, Angstzustände, Alkoholabhängigkeit

Die Schweizer Teilnehmenden der Studie wiesen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern die niedrigsten Werte für schwere Depressionen oder Angstzustände auf, nur 5 % gaben an, unter diesen zu leiden. 

Alkoholprobleme lagen im Durchschnitt; sie waren seltener als in Österreich, Deutschland und Frankreich, aber häufiger als in Italien. Insbesondere Zürich stach mit einer höheren Rate potenzieller Alkoholabhängigkeit (24,5 %) hervor.

HIV und andere STI

Etwa 10 % der in der Schweiz befragten Personen gaben an, dass bei ihnen HIV diagnostiziert wurde, womit die Schweiz im unteren bis mittleren Bereich der europäischen Länder liegt. Neue HIV-Diagnosen waren sehr selten, nur zwei Personen gaben an, kürzlich diagnostiziert worden zu sein (0,1 %).

Bakterielle sexuell übertragbare Infektionen wie Syphilis und symptomatische Gonorrhö wurden häufiger gemeldet und betrafen 6 % bzw. 5 % der Befragten. Insgesamt gaben 22 % an, in den letzten 12 Monaten an einer bakteriellen sexuell übertragbaren Infektion gelitten zu haben. 

Von den mit Gonorrhö diagnostizierten Personen gaben 37,4 % an, sich aufgrund von Symptomen testen zu lassen. Bei Chlamydien waren 27,5 % symptomatisch.

Zürich wurde als Hotspot genannt, aber insgesamt waren die Mpox-Raten in der Schweiz immer noch niedriger als in anderen westeuropäischen Ländern.

Erfahrungen mit HIV, STI und Hepatitis

n = 1497, Rekrutierungszeitraum Februar bis Juni 2024

Die Angaben der Schweizer Befragten zu STIs und Hepatitis stimmen mit früheren Studien überein (z. B. Swiss STAR-Studie).

Risiko- und Präventionsverhalten

In diesem Abschnitt wird dargestellt, wie die befragten Personen tatsächlich handeln, wobei der Schwerpunkt auf Verhaltensweisen liegt, die Gesundheitsrisiken und Schutzstrategien beeinflussen.

Die Schweiz zeichnet sich durch eine hohe PrEP-Nutzung (32 %) aus, wobei Frankreich und das Vereinigte Königreich noch höhere Raten aufweisen. Die konsequente Verwendung von Kondomen war relativ gering, was die erwartete umgekehrte Beziehung zwischen PrEP-Nutzung und Kondomgebrauch zeigt: Länder mit einer höheren PrEP-Nutzung gaben im Allgemeinen einen geringeren Kondomgebrauch an und umgekehrt. Etwa 10 % der Schweizer Teilnehmenden gaben an, Risiken eingegangen zu sein, die ihr HIV-Infektionsrisiko erhöhen könnten.

Die Verwendung von Antibiotika zur Vorbeugung sexuell übertragbarer Infektionen (z. B. DoxyPEP) war recht verbreitet (8 %), und in etwa der Hälfte der Fälle nahmen die Menschen diese Antibiotika ein, ohne eine medizinische Fachperson zu konsultieren. Dies war am häufigsten bei Menschen der Fall, die mit HIV leben oder PrEP verwenden, insbesondere in französisch- und italienischsprachigen Gebieten. 

Die meisten MSM in der Schweiz gaben an, Sex in nüchternem Zustand zu haben. Die Teilnahme an Chemsex wurde von 6 % angegeben, was über dem europäischen Durchschnitt liegt, aber weniger häufig ist als in Belgien, den Niederlanden oder Spanien. Die am häufigsten konsumierten Drogen waren GHB/GBL und synthetische Stimulanzien, wobei neue Arten von Stimulanzien immer beliebter werden. 

Bedürfnisse

Ein zentrales Forschungsziel von EMIS war es, die Bedürfnisse im Bereich der sexuellen Gesundheit zu identifizieren, die bei der Bevölkerung von gbMSM, trans und nicht-binären Personen häufig nicht erfüllt sind, um diese Bedürfnisse für Interventionen zu priorisieren.

Das Wissen über Safer Sex ist in der Schweiz sehr hoch. Fast alle wissen, dass Kondome HIV verhindern können (96 %), die meisten Menschen haben schon von PrEP gehört (84 %) und viele wissen, dass jemand mit einer nicht nachweisbaren HIV-Konzentration das Virus nicht weitergeben kann (86 %). Auch das Bewusstsein für die Mpox-Impfung ist hoch (81 %), womit die Schweiz in Europa zu den Ländern mit dem höchsten Wissensstand in diesem Bereich gehört. Weniger bekannt ist hingegen die HPV-Impfung (66 %), insbesondere in den deutschsprachigen Gebieten, obwohl sie bis zum Alter von 27 Jahren kostenlos ist.

Die Menschen in der Schweiz gaben an, nur sehr geringe negative Gefühle gegenüber Homosexualität zu haben (verinnerlichte Homonegativität), was auf einen starken Community-Zusammenhalt deutet. Berichte über körperliche Gewalt innerhalb der letzten 12 Monate waren selten (< 5 %), wodurch die Schweiz zu den sichersten Ländern zählt, mit Raten, die deutlich unter denen in Russland (16 %) oder Albanien (25 %) liegen. Auch Vergewaltigungen waren selten (< 2 %), obwohl die Raten in der Genferseeregion höher waren (3,5 %) und denen im benachbarten Frankreich ähneln.

Berichte über homo- oder transnegative Diskriminierung im Gesundheitswesen waren selten (< 2 %), während in mehreren anderen Ländern, wie Israel und Kasachstan, die Raten bis zu 13 % erreichten.

Der Sex, den ich habe, ist immer so sicher, wie ich es mir wünsche.

n = 1'507

Etwa jede siebte befragte Person gab an, dass sie weniger Kontrolle über Safer Sex hat (15,3 %), als sie es gerne hätte, was auf einen Bedarf an grösserer sexueller Selbstwirksamkeit hindeutet.

Interventionen

Im Rahmen von EMIS sind relevante Interventionen die Handlungen anderer, die die Gesundheitsförderungsbedürfnisse entweder unterstützen oder untergraben. Interventionen können positiv (Bedürfnisse erfüllen) oder negativ (Bedürfnisse untergraben und unerfüllte Bedürfnisse schaffen) sein.

Prozentualer Anteil der HPV-Impfungen nach Altersgruppe

n = 1509

Die Schweiz verzeichnete den höchsten Anteil an MSM-spezifischen Informationen in Europa. Zwischen 86 % und 95 % der Befragten hatten MSM- oder transspezifische Informationen zu HIV/STI gesehen. Die Impfquote gegen Hepatitis A und B gehörte ebenfalls zu den höchsten, was mit früheren EMIS-Erhebungen übereinstimmt. Sie war in allen Regionen hoch, allerdings in Tessin deutlich niedriger, was wahrscheinlich auf die geringe Stichprobengrösse zurückzuführen ist. Die Impfquoten für Mpox und HPV lagen zwar hinter denen für Hepatitis A/B, blieben aber mit einer HPV-Impfquote von über 50 % in den entsprechenden Altersgruppen relativ hoch. Die HPV-Impfquote lag insgesamt bei etwa 20 % und damit über dem europäischen Durchschnitt, aber unter den Werten für Dänemark, Italien und das Vereinigte Königreich (32–34 %), Irland (40 %) und Israel (43 %). 

Die Mpox-Impfquote lag in Europa an vierter Stelle (33 %), zusammen mit Israel, hinter Frankreich (43 %), Dänemark (38 %) und dem Vereinigten Königreich (34 %). 

Die Schweiz hatte nach den Niederlanden (53 %) den zweithöchsten Anteil an Befragten, die sich bei einem Gesundheitszentrum für die Community auf HIV testen liessen (42 %).

Die Befragten gaben durchweg an, dass sie mit den Informationen und der Unterstützung während ihres letzten HIV-Tests in Gesundheitseinrichtungen für die Community zufriedener waren. HCV-Tests wurden unter Schweizer PrEP-Anwendenden fast genauso häufig durchgeführt wie HIV-Tests. Die EMIS-2024-Daten belegen auch eine massive Zunahme der sofortigen oder frühzeitigen Einleitung einer ART im Laufe der Zeit, insbesondere nach 2015.

Trans Community

Trans und nicht-binäre Menschen haben in der Regel eine schlechtere psychische Gesundheit als Cisgender-Menschen. Sie leiden häufiger unter psychischen Belastungen und werden häufiger mit Problemen wie Depressionen oder Angstzuständen diagnostiziert. Sie haben auch ein höheres Risiko, suizidale Gedanken zu haben, als die restliche Bevölkerung. Obwohl die Zahl der trans und nicht-binären Teilnehmenden in der Schweiz gering war (n = 113), zeigten sich diese Muster ebenfalls in den Daten der EMIS-2024.

Gesundheitliche Ungleichheiten

MSM, die sich als schwul oder bisexuell identifizieren (gbMSM), sind stärker von Infektionen betroffen als alle anderen sexuellen oder geschlechtlichen Identitätsgruppen. Andere MSM, trans und nicht-binäre Personen leiden vor allem unter psychischen Problemen, darunter auch sexuelle Unzufriedenheit. Im Gegensatz dazu sind MSM, die mit HIV leben, stark von STI betroffen, jedoch weniger als andere MSM von psychischen Problemen oder sexueller Unzufriedenheit. Unter den Personen mit HIV ist der Konsum von Chemsex und injizierbaren Drogen jedoch besonders hoch.

Sexarbeitende, sowohl MSW als auch TSW, weisen hohe Raten an STI und Hepatitis auf. Sie geben zwar seltener an, mit ihrem Sexualleben unzufrieden zu sein, haben jedoch häufig mit psychischen Problemen zu kämpfen. Weniger als die Hälfte verwendet stets Schutz, was einen Bedarf an besserer Unterstützung zeigt. 

Insgesamt gehören Sexarbeitende und Menschen mit HIV zu denjenigen, die am meisten gesundheitliche und soziale Unterstützung benötigen. Die befragten migrantischen Personen in der Schweiz weisen geringere Ungleichheiten in ihren Bedürfnissen auf als erwartet.

Dies ist eine kurze Zusammenfassung ausgewählter Ergebnisse des Schweizer EMIS-2024-Länderberichts. Der vollständige Bericht (Englisch) kann hier heruntergeladen werden.

Vorgeschlagener Zitierweise:
Schmidt AJ, Aphami L, Bereczky T, Casalini JL, Lunchenkov N, Marcus U, Jonas KJ, Eggenberger M, Vock F, Lehner A. (2025). European Men-Who-Have-Sex-With-Men Internet Survey (EMIS-2024). National Report Switzerland. Version of 24-10-2025. Zürich: Swiss AIDS Federation

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