Unsichtbarer Sex, unsichtbare Gesundheit : Aids-Hilfe Schweiz

Unsichtbarer Sex, unsichtbare Gesundheit

Frauen, die Sex mit Frauen haben – kurz: FSF – werden kaum über sexuelle ­Risiken und Gesundheit informiert. Liegt das am statistisch geringen ­HIV-Risiko oder an einer falschen Vorstellung von Sex?Im Anschluss folgt ein Überblick über die Diskriminierungsfälle, die 2020 in der Schweiz gemeldet wurden.

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Anna Rosenwasser ©Lea Reutimann

Anna Rosenwasser
Anna Rosenwasser arbeitet seit 2017 in der Geschäftsleitung der Lesbenorganisation Schweiz (LOS).
Die Zürcherin schreibt Kolumnen und Buchtexte über queere Sexualität und Feminismus, zuletzt für «Queer Sex: Whatever the fuck you
want» (Print Matters 2020).

Anna Rosenwasser | April 2021

«Sind Sie sexuell aktiv?» – «Ja.» – «Verhüten Sie?» – «Nein.» – «Ah, Sie möchten schwanger werden?» – «Nein.»
Als Frau, die Sex mit Frauen hat, ist es oft eine bizarre Angelegenheit, zu Gynäkolog_innen zu gehen. Meist steht man früher oder später vor der Frage: Korrigiere ich die fachärztliche Annahme, dass ich hetero bin? Oder bleibe ich einfach ungeoutet?
Nicht wenige Frauen entscheiden sich für Letzteres: Sie haben die Kraft nicht, sich einer Frauenärztin gegenüber zu outen – erst recht nicht, wenn diese ganz selbstverständlich von Heterosexualität ausgeht. Damit fällt eine wichtige Grundlage weg: die Grundlage dafür, mit einer Fachperson die eigene sexuelle Gesundheit zu thematisieren.

Der Begriff «sexuelle Gesundheit» wird, besonders im queeren Kontext, oftmals mit HIV gleichgesetzt. Dabei umfasst die sexuelle Gesundheit bei Weitem nicht nur sexuell übertragbare Krankheiten: Auch das Wohlbefinden mit der eigenen Sexualität und ein respektvoller, sicherer Zugang zu sexuellen Beziehungen sind Teil dieses Gesundheitsbereichs. Wer zwar keine sexuell übertragbare Krankheit hat, aber innerhalb der eigenen Sexualität Gewalt, Diskriminierung oder Angst erlebt, kann kaum als gesund eingestuft werden. Dazu gehört auch eine Form der Diskriminierung, die frauenliebende Frauen besonders oft betrifft: Unsichtbarkeit. Auch die sexuelle Gesundheit einer Personengruppe kann unsichtbar sein, tabuisiert, fetischisiert werden – und das hat Folgen.

Als Frau, die Sex mit Frauen hat, istes oft eine bizarre Angelegenheit, zu Gynäkolog_innen zu gehen.

Unsichtbare Gefahren

Chlamydien sind ein gutes Beispiel, um zu illustrieren, was momentan schiefläuft. «Chlamydien gehören zu den häufigsten sexuell übertragbaren Krankheiten unter Frauen, die Sex mit Frauen haben», erklärt Camille Beziane. Sie leitet eine Organisation, die auch gleich so ­heisst: Les Klamydia’s. Der Französischschweizer Verein setzt sich seit 2008 für die Gesundheit frauenliebender Frauen ein; im deutschsprachigen Raum sind Vereine mit diesem Fokus selten. «Es ist kein Zufall, dass wir uns von Chlamydien zu unserem Vereinsnamen inspi­rieren liessen», so Beziane. «Wer Vagina und Vulva hat und sich Chlamydien einfängt, hat häufig keine spürbaren Symptome. Diese Frauen merken also oft nicht, dass sie Chlamydien haben. Gleichzeitig gehen Frauen, die Sex mit Frauen haben, ohnehin oft davon aus, dass sie sich beim Sex nicht mit Krankheiten anstecken könnten.» Häufig gingen selbst Gynäkolog_innen davon aus, dass frauenliebende Frauen kaum gefährdet sind, sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten anzustecken. So können sich Chlamydien und weitere sexuell übertragbare Krankheiten unter FSF prima verbreiten.

Queere Community-Angebote, die sich an frauenliebende Frauen richten, existieren zwar in allen drei deutschsprachigen Ländern. Sie basieren allerdings oft auf unbezahlter Arbeit und kämpfen mit Ressourcenknappheit, die ihnen die Professionalisierung verunmöglicht. Offizielle, breiter angelegte Beratungsstellen hingegen sind ein Glücksspiel. Ob die entsprechenden Fachpersonen auf queere Themen sen­sibilisiert sind, ist eine Frage von Glück oder Pech.
Was HIV angeht, gibt es beim Sex ­zwischen Frauen aus der Sicht der Aids-Hilfe Schweiz kein Ansteckungsrisiko. «Es gibt eine Handvoll Fälle innert 35 Jahren», so Nathan Schocher. In den vergangenen Jahren ist sogar die Safer-Sex-Regel «kein Blut und Sperma in den Mund» verschwunden. «Das Risiko, sich dabei mit HIV anzustecken, ist kleiner als beim eindringenden Sex mit Kondom. Wir können nicht vor etwas warnen, was statis­tisch gesehen sicherer ist als eine Safer-Sex-Praktik», erklärt Schocher. Anders sei es natürlich, wenn weitere Sexpartner_innen von FSF Risikoverhalten aufwiesen.
Hier­bei gilt es, die Perspektive HIV-positiver Menschen zu bedenken: Heutzutage sind sie, wenn sie gut therapiert sind, sexuell nicht infektiös. Jedoch können Menschen mit HIV einen schwierigeren Therapieverlauf erleben, wenn sie sich mit einer sexuell übertragbaren Krankheit anstecken. Es geht also auch darum, HIV-positive Menschen vor anderen Krankheiten als HIV zu schützen.

Habt ihr Lecktücher ?

Wenn kaum eine Gefahr der HIV-Ansteckung besteht und andere sexuell übertragbare Krankheiten nicht thematisiert werden, fehlt auch die Information darüber, wie FSF sich beim Sex am besten schützen. Weil in der queeren Frauenszene kaum Fachpersonen bekannt sind, sind es nicht selten Sexshop-Arbeiterinnen, die Fragen zur sexuellen Gesundheit abkriegen. Neben klassischen Fragen werden ihen dort auffällig oft Fragen gestellt, die Lecktücher betreffen, berichtet beispielsweise der queere Sexshop Untamed.love.
Während Kondome in der MSM-Welt gratis verteilt werden, kostet ein einzelnes Lecktuch zwei bis drei Franken. Zu kaufen gibt es sie in manchen Sexshops; Apotheker_innen wissen oft nicht, wovon die Kund_innen reden. Die Aids-Hilfe Schweiz sowie das Bundesamt für Gesundheit empfehlen Lecktücher nur bei bezahltem Sex. Ansonsten sollen sich FSF, die wechselnde Partner_innen haben, einfach mindestens einmal pro Jahr testen lassen. Im Gegensatz dazu setzen sich Aktivistinnen wie Camille Beziane für die Zugänglichkeit sowie die Normalisierung von Lecktüchern als Schutz­option ein.


FSF: Drei Buchstaben, viele Probleme
Die Unsichtbarmachung von Sex unter Frauen geschieht auf mehreren Ebenen. Zum einen sagt die Norm, Sex ohne Penetration durch einen Penis sei kein richtiger Sex; dieses Konzept ist in allen sexuellen Orientierungen verbreitet, frauenliebende Frauen eingeschlossen. Zum anderen ist die Finanzierung von Informationskampagnen historisch und strukturell bedingt asymmetrisch. Die Ressourcen sind also noch immer rar, finanziell wie personell. Was bleibt,ist ein Informationsvakuum – und ganz, ganz viele Fragen über Lecktücher.

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