«Ich bin hartnäckig, wenn ich etwas will» : Aids-Hilfe Schweiz

«Ich bin hartnäckig, wenn ich etwas will»

In der Schweiz erhielt Ivy Monteiro die HIV-Diagnose. Erschüttert hat diese sie nicht gross. Rassismus, Vorurteile, Diskriminierungen, Ausgrenzungen haben dazu geführt, dass sie sich längst eine dicke Haut zugelegt hat. Heute unterstützt, vernetzt und stärkt sie Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Ivy Monteiro
ist Künstlerin, politische Aktivistin,
Brückenbauerin, Community-mutter, queer, PoC (People of Color). Und wenn ein Pronomen nötig ist, dann sie. In São Paulo, Brasilien, aufgewachsen, lebt sie seit Längerem in der Schweiz.

INTERVIEW: Brigitta javurek

Ivy Monteiro, HIV-positive Menschen sind zu Recht vorsichtig, wo, wann und wem sie von ihrem Status erzählen. Hast du keine Probleme, über deinen Status zu sprechen?

Ich? Nein, ich habe keine Probleme damit.

Auch keine Angst vor Diskriminierung?

Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, es gab schon mal die Zeit, in der ich Angst davor hatte. Aber dann habe ich mich gefragt: wieso? Denn viele Leute, die meine «heroes» sind, haben ihren Status öffentlich bekannt gegeben. Zudem sage ich mir immer: Wenn ich keine Angst vor meiner Mama habe, sollte ich vor nichts Angst haben. Vor drei Jahren habe ich meiner Mutter meinen Status mitgeteilt, und es war alles gut. Darum habe ich mich dann entschieden, dass, wenn sie es weiss, es auch alle anderen wissen dürfen.

Deine Mutter hat keine Angst um dich gehabt und sich um dich gesorgt?

Also bestimmt war es für sie ein bisschen ein Schock, und sie hat mich gefragt, wie es jetzt weitergeht. Aber ich habe es ihr erklärt, und da meine Mutter sehr versiert ist mit medizinischen Angelegenheiten und sehr viel darüber liest, hat sie dann gesagt, es sei so, wie sie es sich gedacht habe. Sie meinte, ich passe ja sehr gut auf mich auf.

Wer sind deine Helden, deine «heroes»?

Hmm, ich würde sagen von den positiv Getesteten: Freddie Mercury. Er ist der absolute «hero» für mich. Schon in der damaligen Popszene stellte er eine «flag» für die queere Community dar. Für mich war das sehr wichtig. Aber auch ganz enge Freunde von mir, die ebenfalls in der Kunstszene sind, wie Lux Venérea, die in Deutschland wohnt, auch eine Trans-Immigrantin ist und eine superwichtige Arbeit macht, zählen zu meinen Held:innen. Das sind die zwei Personen, zu denen ich aufsehe und durch die ich weiss, dass es okay ist, mit HIV zu leben.

Stichwort Kunstszene. Du bist in São Paulo geboren, lebst in Zürich, hast einen Bachelor in Multimedia Performance und sozialer Kommunikation, bist Aktivistin, politisch aktiv und Künstlerin. Du bist sehr vielseitig. Habe ich etwas vergessen?

Ich bin Performerin, Tänzerin, Choreografin und ja, ich bewege mich sehr gern. Ich arbeite mit Bewegung, mit der Bühne, das heisst, ich bin mit meinem Körper auf der Bühne. Ich mache alles, was mit der Bühne zu tun hat, sei es, in der Produktion zu arbeiten oder auf der Bühne zu performen. Aber auch mein Umfeld, mein soziales Netzwerk und meine Gesundheit sind wichtig. Wenn ich mich nicht gesund fühle oder es meinem sozialen Umfeld und meinen Freunden nicht gutgeht, dann kann ich nicht auf der Bühne sein und auftreten.

Ist HIV ein Thema, das du in deine Kunst einwebst. Nimmst du das im Hinterkopf immer mit?

Es kommt immer mit, denn ich bin nicht scheu. Ich habe keine Probleme, über meinen Status zu sprechen. Aber ich habe noch nie explizit eine Arbeit über das Thema HIV gemacht.

Das ist ja auch nur ein Teil deines Lebens.

Ja, es macht mich nicht aus. Ich glaube, als Künstler:innen müssen wir einfach für die verschiedensten Themen offen sein, und wer weiss, vielleicht werde ich einmal eine Arbeit über dieses Thema machen.

Die Welt auf und abseits der Bühne ist noch immer von Vorurteilen geprägt. Mit was für Diskriminierung hast du zu kämpfen?

Mit verschiedensten Diskriminierungen. Und genau weil ich schon so viel erlebt habe durch soziale Diskriminierung, durch Gender- und Sexualitätsdiskriminierung, durch Diskriminierung wegen meiner Herkunft und auch strukturelle Diskriminierung, eben alles, was mich anders macht, ist HIV nur nochmals eine andere Art von Diskriminierung, die dazukommt.

Wie schützt du dich und wie trägst du Sorge zu dir in diesem täglichen Kampf?

Ich hole mir sehr viel Kraft von meiner Community. Ich könnte die Arbeit, die ich mache, nicht richtig machen, hätte ich meine Community nicht. Ich weiss, ich kann zu meinen Freunden und der Community gehen und mich austauschen, und ich weiss, dass sie mich verstehen werden. Ich bin einfach sehr glücklich mit meiner Community.

Du bist seit zehn Jahren in der Schweiz. Wie war dein Weg nach Zürich?

Ich komme aus Brasilien und wollte nach Deutschland auswandern. Als Erstes habe ich in Deutschland als Au-pair gearbeitet und gleichzeitig einen Deutschkurs gemacht, weil ich unbedingt an die Hochschule gehen wollte. Ich wollte Künstlerin sein. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich wirklich eine Bühnenkünstlerin und Performerin werden würde. Zusätzlich hat dann meine Beziehung mit meinem Ex-Freund nicht mehr geklappt, und auch der extreme Kulturschock hat mir sehr zu schaffen gemacht.

Was war genau der Kulturschock?

Aus São Paulo bin ich in ein deutsches Kaff gezogen, von einer Millionenstadt in ein kleines Dorf mit 7000 Einwohner:innen. Es war sehr schwierig für mich, weil ich extrem aufgefallen bin mit meiner Erscheinung und meiner Kleidung. Da habe ich gemerkt, dass ich exotisch bin, dass ich schwul, schwarz und nicht von hier bin und auch nicht hierhin passe. Ich habe mich dann stark zurückgezogen. Schliesslich bin ich nach Brasilien zurückgekehrt und habe dort meinen jetzigen Ex-Freund kennengelernt, der in Zürich gewohnt hat. Wegen ihm und der Möglichkeit, in Zürich studieren zu können, bin ich in die Schweiz gekommen.

«Zum Glück habe ich gute Menschen gehabt,
die mir das Sozialversicherungs- und Krankenkassensystem
erklärt haben.»

Du hast deinen Bachelor an der Zürcher Hochschule der Künste gemacht. Wie war das?

Wegen meiner Deutschkenntnisse war es nicht besonders einfach, aber ich bin sehr hartnäckig, wenn ich etwas will. Wenn man aus solchen Verhältnissen kommt wie ich, wird einem nichts geschenkt. Und alles, was mir geschenkt wurde, wurde mir auch ins Gesicht gesagt, und es wurde erwartet, dass ich dafür etwas zurückgebe. Das war nicht toll. Es war immer ein Kampf. Schliesslich habe ich meinen Bachelor gemacht. Der Anfang meines Berufs als Künstlerin war ein bisschen kompliziert, und ich habe daran gezweifelt, ob das wirklich das Richtige für mich ist. Aber dann habe ich den richtigen Weg für mich gefunden.

Wie steht es um die medizinische Versorgung? Fühlst du dich ernst genommen, wenn du konkrete Fragen hast?

Ja, ich bin gut aufgehoben hier. Ich habe mir anfangs aber ein bisschen Sorgen gemacht und mich gefragt, wie ich das als Künstlerin finanzieren soll. Aber zum Glück habe ich gute Menschen gehabt, die mir das Sozialversicherungs- und Krankenkassensys-tem erklärt haben. Ich frage mich immer wieder, wie Migrant:innen das machen, die das alles aufs Mal lernen müssen, die Sprache und das ganze System, und wie sie den Zugang finden zu einer Ärztin oder einem Arzt. Ich versuche deshalb immer in der Community meine Augen, Ohren und mein Herz offen zu halten für alle Menschen, denen ich Antworten auf solche Fragen geben kann.

Deine Erfahrung hilft dir nun, Menschen aus deiner Community zu beraten.

Ja, genau. Ich habe schon viele Leute kennengelernt, die hier wohnen wollten, aber keine Ahnung hatten vom schweizerischen System, und genau diesen Menschen konnte ich dann helfen oder sie an professionelle Leute weiterleiten, die sie beraten konnten.

Denkst du, es gibt hier in der Schweiz nicht die richtigen Informationen? Muss sich auch die Aids-Hilfe mehr Mühe geben?

Nein, ich glaube, Infos sind genug vorhanden. Aber der Zugang zu den Informationen ist ein Privileg, das nicht alle haben. Es ist also nicht die Menge an Informationen, die es gibt, sondern eher, wie zugänglich sie sind. Wenn zum Beispiel ein queerer Flüchtling in einem Flüchtlingszentrum in der Schweiz ankommt, dann denke ich nicht, dass er dort Informationen über HIV und STI oder die queere Community allgemein erhält, und sicherlich weiss diese Person auch nicht genau, wo sie diese Infos bekommen kann.

Tolle Einrichtungen nützen nichts, wenn du nicht weisst, wo diese Einrichtungen sind, dass sie dir zur Verfügung stehen und du auch das Recht hast, diese Angebote in Anspruch zu nehmen.

Ja, genau. Und ich denke, dazu kommt noch, dass meine Generation die erste ist, die Zugang zu den Informationen und auch die Möglichkeit hat, sie selbst zu verbreiten. Trotzdem sind nicht alle bereit, ihre Geschichte und Infos zum Thema zu sharen.

«Ich habe ein grosses Wissen über Rassismus und Sexualität und weiss, wie die Community tickt und wie sinnvoll es wäre, dass solche Menschen andere, die in ähnlichen Situationen sind, beraten.»


Du bist eine Spezialistin für ganzviele dieser Fragen. Was brauchen Menschen, die mit HIV leben und Rassismus erleben?

Ich glaube, es braucht mehr Menschen, die so sind wie ich, die anschliessend andere beraten. Als schwarze Migrantin, als queere trans Person habe ich schon viel erlebt. Ich habe ein grosses Wissen über Rassismus und Sexualität und weiss, wie die Community tickt und wie sinnvoll es wäre, dass Menschen wie ich andere, die in ähnlichen Situationen sind, beraten. Leute, die das alles nicht erlebt haben, müssten zuerst besser geschult werden, und auch dann ist es nicht das Gleiche. Ich finde, Beratungsstellen in diesem Bereich sollten Menschen mit Erfahrungen in der Community einstellen, Menschen, die selbst schwierige Situationen erlebt haben, und diese dann zu Berater:innen schulen. Und ich bin der Meinung, dass es das nicht nur im Gesundheitssystem braucht. Auch in der Politik und im ganzen Sozialsystem sollten Menschen, die sich in unserer Community auskennen, vertreten sein. Man sollte sich in jedem Teil des Systems fragen, ob alle inkludiert sind.

Wurde dir noch nie eine Stelle angeboten?

Doch schon, aber ich bin ein Freigeist. Ich bin mal hier, mal da und arbeite nicht von 9 bis 17 Uhr. Für mich ist es schon schwierig genug, als Performerin und Künstlerin alles unter einen Hut zu bekommen. Und ich bin aktiv in meiner Community. Das macht es sehr schwierig für mich, eine Festanstellung anzunehmen. Aber es freut mich immer zu hören, dass es ein solches Stellenangebot gibt. Es darf nicht sein, dass eine privilegierte weisse Cis-Person kommt und den Job macht, denn auch wenn sie zwar die Pädagogik dazu hat, hat sie nicht den richtigen Hintergrund und die Erfahrungen, um diesen Job gut zu machen. In Brasilien gibt es die «African diaspora religion», in der eine der Überzeugungen und Charaktereigenschaften die Kommunikation ist. Dort ist die Verbindung zwischen Menschen zentral, was ich sehr schön und wichtig finde und auch in meinem Leben zu leben versuche. Ich komme aus einer extrem armen Gegend in Brasilien, wo es sehr viel Ungleichheit gibt, und ich finde es unglaublich, wie es auch hier in der Schweiz so ein grosses Ungleichgewicht und eine grosse Ungerechtigkeit geben kann – trotz des Reichtums. Und ich finde, das Minimum, das ich machen kann, ist, diese Kommunikation und diese Verbindungen in der Gesellschaft herzustellen.

Ivy Monteiro, ich danke dir ganz herzlich für dieses anregende und interessante Gespräch.


Das ganze Gespräch mit Ivy Monteiro können sie hier als Poscast hören, positive-life.ch

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