Trans Identitäten : Aids-Hilfe Schweiz

Trans Identitäten

Während die Schweiz die Änderung des Vornamens und des Geschlechts auf dem Zivilstandsamt stark erleichtert hat, sind medizinische Massnahmen zur Angleichung des Geschlechts noch immer oft schwierig. Ziehen wir Bilanz zu einer Situation, die sich zwischen Anerkennung und Unkenntnis, Konservatismus und Fortschrittlichkeit bewegt.

Laure DASINIÈRES | Oktober 2022

In der Schweiz hat jede Person das Recht, gemäss ihrer Geschlechtsidentität zu leben. Das bedeutet zum Beispiel, dass eine trans Frau das Recht hat, Frauenkleidung zu tragen und sich mit «Frau» anreden zu lassen. Zudem sind medizinische Eingriffe zur Angleichung des Geschlechts erlaubt – aber nicht notwendig, damit die Person ihr Recht auf Selbstbestimmung ausüben kann.

Doch obwohl dieser Grundsatz gilt, stösst seine Umsetzung in der Praxis häufig auf strukturelle Hindernisse sowie auf anhaltende Diskriminierung und mangelndes Wissen über die Pflegestandards betreffend trans Identität und die Lebenswelt von trans Personen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat wiederholt festgehalten, dass ein Staat eine trans Person nicht dazu zwingen darf, sich Hormonbehandlungen oder chirurgischen Eingriffen zu unterziehen, um im Zivilstandsamt unter ihrer Geschlechtsidentität anerkannt zu werden. Gemäss dieser Empfehlung ist in der Schweiz am 1. Januar 2022 eine Gesetzesänderung in Kraft getreten, die es trans Menschen – zumindest den meisten – ermöglicht, ihr Geschlecht und ihren Vornamen auf dem Zivilstandsamt (und damit auf ihren Ausweispapieren) durch eine einfache Erklärung in Anwesenheit zu ändern.

In der Praxis laufen die Dinge recht gut, ja sogar besser als erwartet – trotz einiger Lücken im System. Lynn Bertholet, Mitbegründerin und Vorsitzende des Vereins Épicène, sagt: «Wir befürchteten, dass es zu einer Übertragung der richterlichen Kompetenzen auf die Zivilstandsbeamt:innen kommen würde. Nun haben sich die Verfahren jedoch tatsächlich vereinfacht.» Sylvan Berrut von der Fachstelle für trans Menschen beim Checkpoint Vaud stimmt zu: «Wir haben tatsächlich sehr positive Rückmeldungen, diese Massnahme hat die Situation erheblich vereinfacht.» Allerdings bedauert er, dass die Gesetzesänderung non-binäre Personen nicht berücksichtigt: Sie hat nämlich weder die Einführung einer dritten Geschlechtskategorie noch den ersatzlosen Verzicht auf den Geschlechtseintrag gebracht. In der Pressemitteilung des Bundesrats vom 27. Oktober 2021 heisst es: «An der binären Geschlechterordnung (männlich/weiblich) ändert sich nichts: Weiterhin kann nur das männliche oder das weibliche Geschlecht im Personenstandsregister eingetragen werden.» Sylvan Berrut bedauert zudem, dass die Verfahren nicht vereinfacht werden, wenn eine Person nur ihren Vornamen ändern möchte: «Das ist ziemlich paradox. Nur den Vornamen zu ändern, ist immer noch teuer und sogar komplizierter, als den Vornamen und das Geschlecht zu ändern.»

In der Praxis laufen die Dinge recht gut, ja sogar besser als erwartet – trotz einiger Lücken im System. Lynn Bertholet, Mitbegründerin und Vorsitzende des Vereins Épicène, sagt:
«Wir befürchteten, dass es zu einer Übertragung der richterlichen Kompetenzen auf die Zivilstandsbeamt:innen kommen würde. Nun haben sich die Verfahren jedoch tatsächlich vereinfacht.»

Alecs Recher, Verantwortlicher für Recht & Advocacy beim Transgender Network Switzerland (TGNS), weist darauf hin, dass es für Personen unter 16 Jahren unmöglich ist, diese Schritte ohne die Unterstützung beider Elternteile oder des Vormunds zu unternehmen – eine Bestimmung, die mit dem Grundsatz der Selbstbestimmung, wie er in Artikel 12 der Internationalen Konvention über die Rechte des Kindes verankert ist, nicht vereinbar ist. Ebenso ist die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erforderlich, wenn die Person unter Vormundschaft steht. Darüber hinaus weist Alecs Recher auf die schwierige Situation von trans Personen hin, die als Asylsuchende oder Flüchtlinge sich in einer Art Grauzone befinden, da sie eine Änderung in ihrem Herkunftsland beantragen müssten, häufig einem Land, aus dem sie aufgrund der Diskriminierung, der sie ausgesetzt waren, geflohen sind.

Trotz all dieser Vorbehalte nimmt die Schweiz mit dieser Gesetzesänderung in Euro-pa eine Vorreiterrolle ein, was die Selbstbestimmung des Geschlechts angeht. Doch wie sieht es in der Praxis mit dem Zugang zu medizinischen Massnahmen zur Bestätigung des Geschlechts – wie etwa Hormontherapie, Chirurgie, Logopädie, Haarentfernung – aus?

Bereits 2010 erklärte die World Professional Association for Transgender Health (WPATH) in einer Erklärung: «Die Ausprägung von Geschlechtsmerkmalen, inklusive Identitäten, die nicht stereotyp mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht assoziiert sind, ist ein gemeinsames und kulturell vielfältiges menschliches Phänomen, das nicht als inhärent pathologisch oder negativ angesehen werden sollte.» Und seit ihrer Einführung im Januar 2022 hat die internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) der WHO die «Geschlechts-inkongruenz» (es ist nicht mehr von «Transsexualismus» die Rede) aus den psychischen Störungen herausgelöst und sie in die Kategorie der Zustände im Zusammenhang mit der sexuellen Gesundheit eingeordnet. Das heisst,
dass es eine internationale Bewegung gibt, die trans Identität zu entpathologisieren und zu entpsychiatrisieren. Theoretisch sollte also niemand psychologische oder psychiatrische Betreuung benötigen, um eine medizinische Geschlechtsanpassung durchzuführen, und es sollte auch nicht erforderlich sein, dass trans Personen zwei Jahre lang die «gewünschte Geschlechtsrolle» gelebt haben müssen, um in den Genuss von geschlechtsanpassenden Behandlungsmassnahmen zu kommen, wie dies früher der Fall war, wie es in der siebten Ausgabe der vom WPATH veröffentlichten Pflegestandards (Standards of Care) heisst.

Während sich die WPATH-Pflegestandards in erster Linie an Angehörige der Gesundheitsberufe richten, richtet sich der ICD auch an Krankenversicherer, deren Erstattungen auf ICD-Codes basieren, an Leiter:innen nationaler Gesundheitsprogramme, an Spezialist:innen für die Datenerhebung sowie an andere Akteure, die globale Gesundheitsmassnahmen verfolgen und über die Zuweisung von Ressourcen für die Gesundheit entscheiden.

Vor diesem Hintergrund sollte sich in der Schweiz theoretisch der Zugang zu medizinischen Massnahmen zur Bestätigung des Geschlechts vereinfacht haben. In der Praxis bestehen jedoch nach wie vor zahlreiche Hindernisse.

Auch wenn manche Ärzt:innen nach dem Prinzip der informierten Zustimmung arbeiten, ist es oft noch immer erforderlich, das Attest eines Psychiater:in vorzulegen, bevor man Zugang zu Hormontherapien und chirurgischen Eingriffen erhält. «Im Allgemeinen», so Lynn Bertholet, «besteht die Rolle des Psychiaters darin, Komorbiditäten festzustellen, die zu einer Ablehnung der Geschlechtsidentität führen würden und die nicht auf eine Geschlechts-inkongruenz zurückzuführen sind. Dies kann relativ schnell geschehen, in rund vier bis fünf Sitzungen.» Sylvan Berrut weist darauf hin, dass er häufig empfehle, eine psychologische Betreuung in Anspruch zu nehmen, um einen problemlosen Zugang zur Behandlung zu ermöglichen.
Anschliessend ist es für viele Betroffene schwierig, einen spezialisierten Arzt zu finden. «Einen Endokrinolog:in zu finden, ist in manchen Kantonen häufig keine leichte Aufgabe», sagt Sylvan Berrut, «insbesondere etwa im Wallis oder im Jura.»

Als Nächstes stellt sich die Frage nach der Qualität der Behandlung. Alecs Recher: «Einige Eingriffe wie die Torsoplastik oder die Brustvergrösserung verlaufen in der Regel gut. Genitaloperationen wie Phalloplastik oder Vaginoplastik werden jedoch immer noch von Ärzt:innen durchgeführt, die nicht ausreichend ausgebildet sind und diese Eingriffe nicht ausreichend praktizieren. Daher sind die Ergebnisse von weitaus geringerer Qualität als bei Eingriffen, die in Einrichtungen im Ausland vorgenommen werden.» Operationen im Ausland, die von den Krankenkassen nicht übernommen werden.

Kommen wir auf die Kostenübernahme in der Schweiz zu sprechen. Theoretisch sollte die Grundversicherung, wenn eine Transition in der Schweiz vorgenommen wird, die Kosten für die Neuzuordnung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale unter folgenden Bedingungen übernehmen:

  1. Die Interventionen müssen in Übereinstimmung mit dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung als wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich erachtet werden.
  2. Der Kasse muss sowohl eine Diagnose der «Geschlechtsinkongruenz» als auch eine Bescheinigung, dass die gewünschte Massnahme notwendig und unerlässlich ist und dass es keine kostengünstigere Alternative gibt, vorgelegt werden können.

Immer wieder tauchen gewisse rechtswidrig wirkende Bremsen auf, wie die Forderung, dass man warten müsse, bis man 25 Jahre alt sei, oder dass man zwei Jahre lang psychologisch betreut worden sein müsse. In diesen Fällen ist es möglich, Berufung einzulegen. Zudem muss die Haarentfernung von einem Hautärzt:in und nicht in einem Kosmetikstudio durchgeführt werden.

Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen gleicht laut Alecs Recher häufig einer Lotterie: «Jede Woche begegnen mir mehrere Fälle von unbegründeten Ablehnungen, die auf juristisch falschen Erklärungen beruhen. Ausserdem sind die Vertrauensärzt:innen nicht oder nur unzureichend geschult.» Sylvan Berrut unterstreicht den Eindruck der Willkür: «Ähnliche Situationen werden unterschiedlich behandelt, manchmal sogar innerhalb derselben Krankenkasse.» Es ist zu hoffen, dass die Lektüre des ICD-11 und die Veröffentlichung der achten Standards of Care der WPATH am 15. September 2022 zu besseren Behandlungsbedingungen führen werden.

www.tgns.ch/de
www.epicene.ch

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