HIV-Forschung im Schatten der COVID-Pandemie : Aids-Hilfe Schweiz

HIV-Forschung im Schatten der COVID-Pandemie

Die COVID-Pandemie dominierte in den letzten eineinhalb Jahren die Wissenschaft. Dass auf dem Gebiet HIV trotzdem weiterhin viel geforscht wird, zeigen die Resultate der weltweit bedeutendsten HIV-Konferenzen – der CROI (Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections) und der IAS (International AIDS Society) Conference. Beide fanden heuer virtuell statt, die CROI kurz nach der zweiten COVID-Welle im März und die IAS Conference zu Beginn der vierten COVID-Welle im Juli. Wir heben die Glanzlichter der beiden Konferenzen hervor.

Dominique Laurent Braun
Dominique Laurent Braun arbeitet als Oberarzt mit erweiterter Verantwortung an der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich und ist Privatdozent für Infektiologie an der Universität Zürich.

Von Dominique Laurent Braun | Oktober 2021

HIV ist ein Risikofaktor für einen schweren Verlauf mit COVID-19

In einer grossen Studie aus den USA wurden Daten von über einer halben Million Patient_innen mit einer COVID-Infektion analysiert, darunter 3000 Personen mit einer HIV-Infektion. Für Personen mit HIV zeigte sich, im Vergleich zu Personen ohne HIV, eine um 30 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit einer Spitaleinweisung, zudem eine um 85 Prozent wahrschein­lichere Notwendigkeit einer künstlichen Be­atmung. Diese schweren Verläufe betrafen in erster Linie Personen mit HIV und Begleiterkrankungen wie Herz-Kreislauf-, Lungen- oder Nierenpro­blemen. Zusammenfassend bestätigt diese Studie, dass im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung Personen mit HIV und Begleiterkrankungen ein höheres Risiko für schwere COVID-Verläufe haben. Diese Ergebnisse unterstreichen die Wichtigkeit einer COVID-Impfung bei Personen, die mit HIV leben.

Zusammenfassend betätigt die Studie «ATLAS-2» die hohe Wirksamkeit der Kombination long-acting Cabotegravir/Rilpivirin als intramuskuläre Verabreichung alle acht Wochen zur Behandlung der HIV-Infektion bei Personen ohne komplexe HIV-Vorgeschichte. In der Schweiz wird die Zulassung dieser Kombination Ende dieses Jahres erwartet.

Good News zur HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP)

Eine grosse französische HIV-PreP-Kohorte von über 3000 MSM (Männern, die Sex mit Männern haben) aus der Pariser Grossregion bestätigte die sehr hohe Wirksamkeit der kontinuierlichen oder On-Demand-PrEP mit TDF/FTC (Truvada) aus den Zulassungsstudien: Mit beiden Schemata fand sich eine 99-prozentige Risikoreduktion der Teilnehmer für eine Ansteckung mit HIV. Interessanterweise hatten MSM unter einer kontinuierlichen PreP-Einnahme signifikant weniger Nebenwirkungen als unter einer On-Demand-Einnahme. Sexuell übertragbare Infektionskrankheiten (STI) betrafen 75 Prozent der MSM, in vielen Fällen akute Hepatitis-C-Infektionen. Zusammenfassend bestätigen die Resultate dieser Kohorte die hohe Wirksamkeit und Sicherheit einer PrEP mit TDF/FTC und unterstreichen die Wichtigkeit einer regelmässigen STI-Testung inklusive auf Hepatitis C bei Einnahme einer PrEP. Weitere Informationen zur HIV-PrEP in der Schweiz finden sich unter www.swissprepared.ch.

Good News zur HIV-PreP alle acht Wochen als Injektion

Die Studie «HPTN 083» aus den USA studierte die Wirksamkeit und Sicherheit einer HIV-PreP mit long-acting Cabotegravir gegenüber der Standard-PrEP mit TDF/FTC (Truvada), die einmal täglich geschluckt wird. In der Gruppe mit long-acting Cabotegravir wurde den Teilnehmenden alle acht Wochen eine intramuskuläre Injektion in den Gesässmuskel verabreicht. Ingesamt wurden über 4500 MSM per Zufall einem der beiden Behandlungsarme zugeteilt. Die Studie wurde frühzeitig abgebrochen, da sich in der Gruppe mit long-acting Cabotegravir eine signifikant höhere Wirksamkeit zur Risikoreduktion einer neuen HIV-Infektion zeigte gegenüber dem Regime mit der täglichen Einnahme von TDF/FTC. Wichtig in diesem Kontext ist: Die meisten HIV-Infektionen in der TDF/FTC-Gruppe betrafen MSM, die eine tiefe Therapietreue aufwiesen, sprich die PrEP nicht korrekt eingenommen hatten. Zusammenfassend unterstreicht diese Studie das grosse Potenzial einer HIV-PreP mit Cabotegravir, die alle acht Wochen intramuskulär in den Gesässmuskel injiziert wird.

Good News zur Kombinations- Zulassung bei Personen mit HIV und supprimierter Viruslast

Die Studie «ATLAS-2» untersucht die Wirksamkeit von long-acting Cabotegravir in Kombination mit long-acting Rilpivirin bei Personen mit HIV und supprimierter Viruslast ohne virologische Versagen in der Vorgeschichte. In dieser Studie erhielten die 1000 Teilnehmenden diese Kombination entweder alle acht Wochen oder alle vier Wochen in den Gesässmuskel injiziert. Nach zwei Jahren zeigte sich eine Nichtunterlegenheit von long-acting Cabotegravir/Rilpivirin alle acht Wochen gegenüber einer Verabreichung alle vier Wochen. An der Injektionsstelle traten schwere Nebenwirkungen insgesamt äusserst selten auf, und die milden Nebenwirkungen nahmen über die Zeit ab. Zusammenfassend bestätigt diese Studie die hohe Wirksamkeit der Kombination long-acting Cabotegravir/Rilpivirin als intramuskuläre Verabreichung alle acht Wochen zur Behandlung der HIV-Infektion bei Personen ohne komplexe HIV-Vorgeschichte. In der Schweiz wird die Zulassung dieser Kombination Ende dieses Jahres erwartet.

Good News für Menschen mit HIV und Mehrklassenresistenzen

Gute Neuigkeiten für Personen mit HIV und Mehrklassenresistenzen sowie komplexer HIV-Vorgeschichte: Der neue first-in-class long-acting Kapsidhemmer Lenacapavir zeigt eine hohe Potenz und Verträglichkeit. Basierend auf Daten einer kleinen Studie bei Personen mit HIV und Resistenz auf mehr als zwei Medikamentenklassen und nicht unterdrückter Viruslast, führte die Zugabe von long-acting Lenacapavir alle sechs Monate ins Unterhautfett (subkutan) zu einem massiven Abfall der HIV-Viruslast innerhalb der nächsten zwei Wochen. Zusammenfassend bestätigt diese Studie das grosse Potenzial dieser neuen Medikamentenklasse und zeigt, dass anstelle einer intramuskulären Injektion eine Verabreichung ins Unterhautgewebe alle sechs Monate möglich ist.

Gute Neuigkeiten für Personen mit HIV und Mehrklassenresistenzen sowie komplexer HIV-Vorgeschichte: Der neue first-in-class long-acting Kapsidhemmer Lenacapavir zeigt eine hohe Potenz und Verträglichkeit.

Hohe Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit

Die Kombination Bictegravir/FTC/TAF (Biktarvy) ist die in der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie (SHCS) am häufigsten verschriebene Fixdosis-Kombination. In vier Studien zu Bictegravir/FTC/TAF mit Einschluss von über 1200 Therapie-naiven Personen ohne bekannte Resistenz auf eine der drei Wirkstoffe zeigte sich über einen Zeitraum von vier Jahren eine sehr hohe Wirksamkeit: 99 Prozent der Teilnehmenden unter Bictegravir/FTC/TAF zeigten eine supprimierte HIV-Viruslast, und es kam zu keinem Auftreten von Resistenzen gegen eine der Substanzen. Sicherheit und Verträglichkeit waren ebenfalls sehr hoch. Im ersten Jahr nahmen die Teilnehmenden etwa drei Kilogramm an Gewicht zu, was gemeinhin als return-to-health effect bezeichnet wird. Über die nächsten drei Jahre betrug die Gewichtszunahme nur noch ein Kilogramm pro Jahr. Zusammenfassend bestätigt diese Studie die hohe Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit von Bictegravir/FTC/TAF aus früheren Studien.

Let’s dance TANGO: Hohe Wirksamkeit der HIV-Zweifachtherapie

In der TANGO-Studie wurde die Wirksamkeit der Fixdosis-Zweifachtherapie Dolutegravir/3TC (Dovato) nach einem Wechsel von einer TAF-basierten Dreifachkombination untersucht. Dolutegravir/3TC ist in der SHCS die am häufigsten eingesetzte Zweifachtherapie bei einer Therapieumstellung. Diese Studie ist insofern interessant, als die Substanz TAF im Gegensatz zu 3TC in verschiedenen Studien mit einer Gewichtszunahme assoziiert ist und die TANGO-Studie somit auch der Frage nachging, ob eine Umstellung von TAF auf 3TC einen Vorteil in Bezug auf Gewicht und andere metabolische Parameter bringt. Nach zwei Jahren zeigte sich in beiden Gruppen ein gleich hoher Therapieerfolg, zudem kein Auftreten virologischer Versagen unter Dolutegravir/3TC. Nach drei Jahren fanden sich unter Dolutegravir/3TC zudem leicht bessere Cholesterinwerte gegenüber der TAF-haltigen Dreifachtherapie. Jedoch zeigte die Zweifachtherapie keinen Vorteil bezüglich Gewichtsverlauf oder Auftreten eines sogenannten metabolischen Syndroms (Bluthochdruck, zu viel Bauchfett, erhöhte Blutzuckerwerte). Zusammenfassend zeigt diese Studie, dass bei Patient_innen ohne virologische Versagen in der Vorgeschichte und mit hoher Therapietreue in den meisten Fällen auf eine Zweifachtherapie mit Dolutegravir/3TC umgestellt werden kann. Allerdings bleibt die Frage offen, ob eine solche Umstellung auch einen Vorteil bezüglich Einsparung von Langzeittoxizität bringt.

HIV-Zweifachtherapie auf dem Vormarsch

Die HIV-Zweifachtherapie ist auf dem Vormarsch und könnt das Ende der Ära Dreifachtherapie einläuten (siehe oben). Allerdings wurde die Hypothese aufgestellt, dass die Umstellung von einer Dreifach- auf eine Zweifachtherapie dazu führen könnte, dass trotz unterdrückter Viruslast im Blut bestimmte Entzündungsmarker ansteigen und diese chronische Entzündung dann vermehrt zu Herz-Kreislauf- oder Krebs­erkrankungen führt. Diese Befürchtung scheint sich nicht zu bewahrheiten: In einer grossen Studie mit über 1000 HIV-Patient_innen fand sich über drei Jahre hinweg keine wesentliche Änderung der Entzündungsstoffe nach Umstellung auf eine HIV-Zweifachtherapie. Zudem zeigte sich in einer Kohorte mit über 10 000 Teilnehmenden kein vermehrtes Auftreten von Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen oder Tod bei Personen, die auf eine Zweifachtherapie umgestellt worden waren. Zusammenfassend deuten diese Daten darauf hin, dass eine HIV-Zweifachtherapie keine nachteiligen Effekte auf Entzündungsmarker oder relevante klinische Ereignisse wie Tod und Herz-Kreislauf-Erkrankungen hat.

Die Esperanza-Patientin oder der einzigartige Fall einer funktionellen Heilung von HIV

Laut Timothy Brown, auch als Berlin patient bekannt, soll offensichtlich eine zweite Person von HIV geheilt worden sein: die sogenannte Esperanza-Patientin, benannt nach der Heimatstadt der geheilten Frau. Bei ihr wurde 1996 HIV im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert und nachfolgend eine antiretrovirale Therapie begonnen, die sie 2007 aufgrund von Nebenwirkungen absetzte. Seither war ihre HIV-Viruslast auch ohne Therapie nicht nachweisbar: Ein sogenannter elite control status lag vor. Dieses Phänomen ist seit vielen Jahren bekannt, tritt bei weniger als einem Prozent der Personen, die mit HIV leben, auf und ist noch weitgehend unverstanden. Das Einzigartige an der Esperanza-Patientin ist: Auch nach Analyse von einer Milliarde Immunzellen und verschiedenen Körpergeweben konnte bei ihr in keiner einzigen Zelle mehr HIV nachgewiesen werden. Die Forschenden möchten nun herausfinden, welcher Mechanismus dahintersteckt, und haben auch schon einen weiteren Namen für diese Patientin gefunden: the hope patient – die Hoffnungspatientin.

Datenschutz, Cookies und Privatsphäre

Diese Website entspricht der schweizerischen Datenschutzgesetzgebung. Mehr Informationen in unserer «Datenschutzerklärung».

Datenschutz, Cookies und Privatsphäre

Diese Website entspricht der schweizerischen Datenschutzgesetzgebung. Ihre Privatsphäre ist uns wichtig, und wir verarbeiten Ihre Daten gemäss diesen Vorschriften. Weitere Informationen finden Sie in unserer «Datenschutzerklärung». Durch die Nutzung unserer Website stimmen Sie der Verarbeitung Ihrer Daten gemäss diesen Vorschriften zu.

Notwendige Cookies

Notwendige Cookies sind für das einwandfreie Funktionieren unserer Website unerlässlich. Sie ermöglichen Ihnen, auf unserer Website zu navigieren, auf sichere Bereiche zuzugreifen und Grundfunktionen zu nutzen. Ohne diese Cookies kann unsere Webseite nicht einwandfrei funktionieren. Sie speichern keine persönlich identifizierbaren Informationen und werden in der Regel als Antwort auf Ihre Handlungen definiert, wie z. B. das Festlegen Ihrer Datenschutzeinstellungen, das Anmelden oder das Ausfüllen von Formularen. Sie können Ihren Browser so einstellen, dass er diese Cookies blockiert, aber einige Teile unserer Website funktionieren dann möglicherweise nicht richtig.

Analyse-Cookies

Analyse-Cookies helfen uns, unsere Website zu verbessern, indem sie Informationen über deren Nutzung sammeln. Sie helfen uns zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, welche Seiten am beliebtesten sind und wie sie auf unsere Website gelangen. Diese Daten werden anonym und in gesammelter Form erhoben, das bedeutet, dass sie keine persönlich identifizierbaren Informationen enthalten. Wir verwenden diese Informationen, um unsere Website, ihren Inhalt und die Benutzererfahrung ständig zu verbessern. Wenn Sie diese Cookies lieber nicht zulassen möchten, können Sie sie deaktivieren, was jedoch die Qualität Ihrer Erfahrung auf unserer Website beeinträchtigen kann.

Integrierter Inhalt

Wir verwenden Drittanbieterdienste, um Funktionen bereitzustellen und nützliche Inhalte auf unserer Website anzuzeigen. Für integrierte Videos verwenden wir beispielsweise YouTube, das Cookies setzt, um den Videoverkehr zu analysieren und Ihre Benutzererfahrung zu verbessern. Sie können diese Cookies akzeptieren oder ablehnen.

Ihre Cookie-Einstellungen wurden gespeichert.