Der Regenbogen aus rechtlicher Sicht : Aids-Hilfe Schweiz

Der Regenbogen aus rechtlicher Sicht

LGBTQ-Angehörige haben nicht nur mit gesellschaftlichen Diskriminierungen zu kämpfen. Auch aus rechtlicher Sicht erfahren sie aufgrund ihrer Lebensweise, ihrer Genderidentität oder ihrer sexuellen Orientierung nach wie vor viele Benachteiligungen und Ungleichbehandlungen. Ein Vergleich mit anderen Ländern zeigt: Der Schweiz kommt in Bezug auf LGBTQ-Rechte keine Pionierrolle zu.

© KEYSTONE / EPA / JAGADEESH NV

MARCO SCHOCK | April 2021

Auch im Jahr 2021 scheint das Spektrum des Regenbogens dem heteronormativ geprägten Firmament des geltenden Rechts immer noch nicht gleichwertig zu sein. Nachfolgend sollen exemplarisch Rechtsgebiete beleuchtet werden, die in Bezug auf LGBTQ-Anliegen von Bedeutung sind. Hierbei soll insbesondere auf aktuelle und bestehende Probleme aufmerksam gemacht werden. Der Autor schickt vorweg, dass der nachfolgende Beitrag aus Platzgründen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann.

I. Familienrecht

Aufgrund seiner Regelungsmaterie ist das Familienrecht immer wieder im Brennpunkt von LGBTQ-Anliegen. Aktuell steht insbesondere die Ehe für alle im Fokus. Ende des letzten Jahres gab der National- und Ständerat dazu sein Ja. Dieses Votum ist mehr als nur eine Momentaufnahme, sondern stellt einen grossen Schritt hin zur rechtlichen Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Lebensformen dar. Mit der Einführung der eingetragenen Partnerschaft im Jahr 2007 wurde zwar eine erste Hürde in diese Richtung genommen. Die bis heute geltende eingetragene Partnerschaft ist aber nicht mit denselben Rechten und Pflichten verbunden wie die Ehe. Bei genauerem Hin­sehen lassen sich zahlreiche Unterschiede feststellen. So sind bei der eingetragenen Part­nerschaft, verglichen mit der Ehe, weder Trauzeugen noch ein Verlöbnis vorgesehen. Zudem wird die eingetragene Partnerschaft durch eine Protokollierung der beiden Willenserklärungen begründet und nicht mit einem Jawort besiegelt. Im Eherecht wird sodann explizit eine gegenseitige Treuepflicht statuiert, während diese in den gesetzlichen Bestimmungen zur eingetragenen Partnerschaft fehlt. Der ordentliche Güterstand bei einer Ehe ist die Errungenschaftsbeteiligung, für eingetragene Partner_innen hingegen entspricht die Gütertrennung dem ordentlichen Güterstand. Unterschiede bestehen sodann auch bei der Auflösung des geschlossenen Bundes fürs Leben: Bei der eingetragenen Partnerschaft ist es bereits nach einem Jahr möglich, sie auf einseitiges Begehren hin aufzulösen. Falls eine Ehe nicht auf gemeinsames Begehren geschieden werden soll, muss demgegenüber in der Regel eine Trennungszeit von zwei Jahren vorliegen. Nur ausnahmsweise kann, bei Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Ehe aus schwerwiegenden Gründen, die Scheidung vor Ablauf der zweijährigen Frist verlangt werden. Bei der eingetragenen Partnerschaft aber besteht keine Option zur Aufhebung wegen Unzumutbarkeit. Ausserdem ist es eingetragenen Paaren namentlich weder möglich, Kinder gemeinschaftlich zu adoptieren, noch steht ihnen der Zugang zur Fortpflanzungsmedizin offen. Diese Aufzählung liesse sich freilich noch mit weiteren Unterschieden ergänzen. Dies zeigt eindrücklich auf, wie wenig eine eingetragene Partnerschaft äquivalent zur Ehe ist. Seit dem 1. Januar 2018 steht in der Schweiz aber immerhin die Möglichkeit der Stiefkindadoption nicht nur Ehepaaren, sondern auch Paaren in eingetragener Partnerschaft und Paaren in einer faktischen Lebensgemeinschaft offen. Konkret bewirkte die Gesetzesänderung, dass eine Person das Kind der eingetragenen Partnerin oder des eingetragenen Partners adoptieren kann, sofern der zweite Elternteil unbekannt, verstorben oder mit der Übertragung seiner Rechte und Pflichten einverstanden ist. Bei der letztgenannten Konstellation braucht es, wenn das zu adoptierende Stiefkind also bereits zwei rechtliche Eltern hat, vorab die Zustimmung und damit verbunden die Aufhebung der rechtlichen Elternschaft des oder der Zustimmenden. Erst dann steht der Weg für den neuen rechtlichen Elternteil frei. Dieses Vorgehen ist notwendig, da es von Gesetzes wegen nicht möglich ist, mehr als zwei rechtliche Eltern zu haben. Schliesslich wird vorausgesetzt, dass sich die Adoption in Bezug auf das Kindeswohl als zuträglichste Option erweist.

II. Personenrecht

In der Schweiz steht es Menschen mit non-binären Identitäten nach wie vor nicht offen, keinen Geschlechtseintrag zu haben oder etwas anderes als eine männliche oder weibliche Geschlechtszugehörigkeit eintragen zu lassen. Aufgrund der in der Schweiz bestehenden recht­lichen Konzeption der Bipolarität der Geschlechter ist nur eine Geschlechtsänderung von weiblich auf männlich und von männlich auf weiblich möglich. Wer aktuell sein Geschlecht ändern möchte, sieht sich zudem mit keiner klaren gesetzlichen Regelung, sondern nach wie vor mit grossen bürokratischen Hürden und viel Unsicherheit konfrontiert. Dies obwohl mittlerweile die Bedingung der vorgängigen chirurgischen Sterilisation und einer operativen Geschlechtsumwandlung nicht mehr Voraussetzung für eine Änderung des Geschlechts ist.
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll es Menschen mit einer Transidentität in Zukunft vereinfacht möglich sein, ihr Geschlecht zu wechseln. Mit der beschlossenen Änderung des Zivilgesetzbuches soll es Personen, die innerlich fest davon überzeugt sind, das Geschlecht und den Vornamen wechseln zu wollen, fortan unbürokratisch möglich sein, dies zu tun. Sie können künftig einfach mit einer Erklärung gegenüber dem Zivilstandsamt eine Änderung des Eintrags bewirken. In diesem Zusammenhang kann die erklärende Person einen oder mehrere neue Vornamen ins Personenstandsregister eintragen lassen. Allfällig bereits existierende Ehe- und Kindesverhältnisse bleiben bei einer Änderung des Personenstandes unverändert bestehen. Momentan läuft auch hier noch bis zum 10. April 2021 die Referendumsfrist. Der neue Art. 30b ZGB stellt die binäre Geschlechterordnung von weiblich und männlich aber nicht infrage. Damit wird in der Schweiz zumindest vorerst keine dritte Geschlechtskategorie eingeführt. Der Bundesrat setzt sich gegenwärtig jedoch mit der Frage nach der Einführung eines dritten Geschlechts auseinander.

Im europäischen Vergleich kommt der Schweiz weder mit der Einführung der eingetragenen Partnerschaft im Jahr 2007 noch mit der aktuell beschlossenen Ehe für alle eine Pionierrolle zu. So hat Dänemark bereits im Jahr 1989 als erster europäischer Staat ein Gesetz über die registrierte Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare erlassen. Die Niederlande waren sodann das erste Land der Welt, das 2001 die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubte.


Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass unsere Nachbarn in gewissen Punkten weiter sind, in anderen nicht: Seit zwei Jahren gibt es im deutschen Personenstandsregister mit «divers» zwar eine weitere Kategorie zur Angabe des eigenen Geschlechts. Wer aber seinen Geschlechtseintrag ändern möchte, muss nach wie vor eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Dies wird zu Recht als entwürdigend und pathologisierend kritisiert. Zwar statuierte Italien vergleichsweise früh, im Jahr 1982, das Recht zur Geschlechtsänderung. Wer dort jedoch das Geschlecht in personenstandsrechtlicher Sicht ändern lassen wollte, musste für eine lange Zeit viel auf sich nehmen. Seit einem Gerichtsentscheid vor wenigen Jahren ist eine vorgängige Operation aber nicht mehr zwingende Voraussetzung zur Beantragung einer zivilstandesamtlichen Geschlechtsänderung. In Österreich sind seit dem letzten Jahr folgende Eintragungen im Zentralen Personenstandsregister möglich: «divers», «inter», «offen», «kein Eintrag».
In Kanada, einer Pionierin in der Gleichberechtigung von LGBTQ-Rechten, gibt es in Reiseausweisen als Option das Geschlecht X. Zudem kann auf der elektronischen Einreisegenehmigung, die Besucher_innen aus dem Ausland beantragen müssen, neben «männlich» und «weiblich» auch «anderes Geschlecht» gewählt werden. Bei der dieses Jahr anstehenden Volkszählung können Kanadier_innen zudem ein drittes Geschlecht angeben.

III. Strafrecht

Die Schweiz verfügt über kein eigenes Antidiskriminierungsgesetz. Das Schweizer Strafrecht schützt aber in Art. 261bis StGB (Strafgesetzbuch) Menschen vor verschiedenen Formen der Diskriminierung: So macht sich strafbar, wer andere aufgrund ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in der Öffentlichkeit herabsetzt. Das Parlament hat Ende 2018 entschieden, diese eigentlich als Anti-Rassismus-Strafnorm konzipierte Bestimmung um das Tatbestandselement des Verbotes der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung zu erweitern, mit dem Ziel, Personen zu schützen, die aufgrund ihrer Homo-, Hetero- oder Bisexualität diskriminiert werden. Gegen diese Änderung wurde das Referendum ergriffen, in der Volksabstimmung vom 9. Februar 2020 hat das Schweizer Stimmvolk den Entscheid des Parlaments für die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm aber deutlich bestätigt. Seit dem 1. Juli 2020 wird bestraft, wer Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert. Es muss aber dezidiert hervorgehoben werden, dass der Schutz von intersexuellen und trans Menschen nicht Bestandteil der aktuell geltenden Strafnorm ist. Damit erfährt nicht das ganze LGBTQ-Spektrum durch Art. 261bis StGB Schutz vor Diskriminierung. Die Schweiz ist somit internationalen Empfehlungen bis heute nicht vollumfänglich nachgekommen.

Fazit

Auf unserer rechtlichen Tour d’Horizon wurde einerseits klar: LGBTQ-Anliegen sind so pluralistisch und mannigfaltig wie das LGBTQ-Spektrum selbst. Gemeinsam ist allen LGBTQ-Angehörigen aber, dass sie sich nach wie vor mit fehlender rechtlicher Gleichstellung konfrontiert sehen. In der Schweiz sind die jüngst parlamentarisch beschlossene Ehe für alle sowie die vereinfachte Änderung des Geschlechts und die bereits in Kraft getretene Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm klare Anzeichen für einen gesellschaftlichen Wandel, der sich auch rechtlich manifestiert. Diese wachsende gesellschaftliche Sensibilität für LGBTQ-Anliegen sollte als Chance verstanden werden.

In der Schweiz steht es Menschen mit non-binären Identitäten nach wie vor nicht ­offen, keinen Geschlechtseintrag zu haben oder etwas anderes als eine männliche oder weibliche Geschlechtszugehörigkeit eintragen zu lassen. Aufgrund der in der Schweiz bestehenden rechtlichen Konzeption der Bipolarität der Geschlechter ist nur eine Geschlechtsänderung von weiblich auf männlich und von männlich auf weiblich möglich.

Auch wenn bereits einiges getan ist, bleibt der Weg zur vollständigen Gleichberechtigung von LGBTQ-Angehörigen noch weit. Nicht vergessen werden darf vor allem, je nach Lebenssachverhalt, die erhöhte Vulnerabilität gewisser Menschen innerhalb des ohnehin schon um Gleichberechtigung kämpfenden LGBTQ-Spektrums.

IM EUROPÄISCHEN VERGLEICH

Im europäischen Vergleich kommt der Schweiz weder mit der Einführung der eingetragenen Partnerschaft im Jahr 2007 noch mit der aktuell beschlossenen Ehe für alle eine Pionierrolle zu. So hat Dänemark bereits im Jahr 1989 als erster europäischer Staat ein Gesetz über die registrierte Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare erlassen. Die Niederlande waren sodann das erste Land der Welt, das 2001 die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubte. Ein Blick über die Landesgrenzen zeigt: In Frankreich wurde die Ehe für alle 2013 eingeführt, in unserem nördlichen Nachbarland trat sie 2017 in Kraft und in Österreich zwei Jahre später, im Jahr 2019. In Italien besteht seit 2016 die Möglichkeit, in einer eingetragenen Partnerschaft zu leben, hingegen haben gleichgeschlechtliche Paare bis heute kein Recht auf Eheschliessung.
Zurück in die Schweiz: Trotz der parlamentarisch beschlossenen Ehe für alle ist diese noch nicht in trockenen Tüchern. Das Referendumskomitee hat bis zum 10. April 2021 Zeit, 50 000 Unterschriften gegen die Ehe für alle zu sammeln. Sollte dieser Fall eintreten, wird es voraussichtlich diesen Herbst zu einer Volksabstimmung kommen.


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